Hans-Werner Winter (geb. 26.6.1936 Koblenz)
Die Brüder Adolf Walter und Hans-Werner Winter trugen den Geburtsnamen ihrer Mutter, Hertha Wolff geb.
Winter (geb. 10.9.1893 Mönchengladbach) als Familiennamen, da sie erst nach dem Tod von deren Ehemann Arthur
Wolff (1890-1925) geboren wurden. Die damals zehn und fünf Jahre alten Brüder wurden am 22.3.1942
zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Halbbruder Ernst Albert Wolff (geb. 6.9.1921 Koblenz) aus dem
„Judenhaus“ Weißer Straße 28 ins Durchgangsghetto Izbica und anschließend in ein Vernichtungslager deportiert.
An Ernst Albert Wolff erinnert seit dem 27.8.2011 ein Stolperstein vor dem Haus Weißer Straße 28, in das die
Familie 1939 eingewiesen wurde. Eine weitere Halbschwester, Ingeborg Wolff (geb. 22.7.1925 Koblenz), wohnhaft
in Glesch (heute Ortsteil von Bergheim an der Erft), wurde am 20.7.1942 von Köln ins Ghetto Minsk deportiert.
Damit fanden mit der Mutter und den Kindern Ernst Albert und Ingeborg Adolf Wolff sowie Walter und Hans-
Werner Winter insgesamt fünf Personen der Familie Wolff-Winter in den Tod. Nur zwei der insgesamt sechs
Kinder von Hertha Wolff entgingen der Shoah.
Der damals zwölfjährige Koblenzer Josef Lichtenberg (geb. 1929) hat den Tag der Deportation von Adolf Walter
Winter noch in lebhafter Erinnerung. Lichtenberg wuchs in der Weißer Straße 27 auf, wo seine Familie seit 1921
lebte. Schräg gegenüber, Weißer Straße 28, wohnte seit 1939 die jüdische Witwe Wolff mit ihren Kindern, von
denen zwei aus ihm damals unbekannten Gründen Winter mit Familiennamen hießen. Vor 1939 wohnte Familie
Wolff im Haus Weißer Straße 47. Josef Lichtenberg und Walter Winter gehörten zur „Weißer-Gässer-Clique“.
„Waller“ wie Walter Winter allgemein genannte wurde, hatte als Kind Kinderlähmung, deren Folgen sich aber
zuletzt kaum noch bemerkbar machten. Lichtenberg wörtlich: „Waller konnte am Schluss schneller rennen als wir
alle zusammen.“ Mindestens einmal habe man Waller zur Sonntagmorgen-Matinee ins Ufa-Kino in der Löhrstraße
mitgenommen. Für 25 Pfennige wurden dort Filme, z. B. Historienschinken vom Alten Fritz, gezeigt. Besser
gesagt, wurde Waller hineingeschmuggelt, denn als Jude war ihm der Besuch von Lichtspielhäusern untersagt. Er
trug zu diesem Zeitpunkt (Einführung 1.9.1941) bereits einen Judenstern. Die Clique gab ihm den Tipp, seine
linke Jackenseite soweit nach außen zu schlagen, dass der Judenstern verdeckt war. Zusätzlich sollte er die linke
Hand in die Hosentasche stecken und mit dem Arm die umgeklappte Jackenhälfte fixieren, damit sie nicht
zurückschlug und den Stern freigab. Der Trick gelang. Am Vortag [21.3.1942] der Deportation von Waller stand
Josef Lichtenberg vor seinem Elternhaus, als Waller allein mit einem Rucksack auf die Straße trat. Auf dem Arm
trug er seine heiß geliebte grau getigerte Katze. Lichtenberg begleitete seinen Kumpel Waller die Weißer Straße
bis zur Ecke Fischelstraße und bog dann mit ihm auf die Rampe zur Bahnüberführung zum Saarplatz ab. Zu
Beginn der Bahnüberführung lag rechts ein ehemaliges Offizierskasino [Moselweißer Straße 2], in dem seit etwa
1935 das Amt für Beamte der NSDAP untergebracht war. Hier wurde Lichtenberg von Uniformierten angehalten
und aufgefordert, umzukehren. Waller ging allein über die Überführung, drehte sich noch einmal um und winkte
seinem Spielkameraden zu. Es ist Lichtenbergs letztes Bild von Walter Winter, das sich ihm für immer eingeprägt
hat. Beide ahnten nichts von der Endgültigkeit des Abschieds. Josef Lichtenberg kann heute nicht mehr sagen, ob
und was er mit Waller auf der kurzen Strecke vom Haus bis zur Bahnüberführung gesprochen hat. Völlig verblasst
ist seine Erinnerung daran, wohin Waller überhaupt gehen musste, „wenn ich es je gewusst habe“, wie Lichtenberg
betont. Erst sehr viel später erfuhr er, dass sich Waller bei der offiziellen Sammelstelle für die zur Deportation
bestimmten Juden in der Turnhalle Steinschule [Blücherstraße 40] einzufinden hatte. Hier musste er mit seiner
Mutter und Bruder Hans-Werner sowie 334 weiteren jüdischen Personen aus Koblenz und Umgebung die Nacht
auf einem Strohlager verbringen. Am nächsten Mittag, Sonntag, den 22. März 1942, führten Gestapobeamte die
Inhaftierten in einem langen Zug entlang der Mosel über die Balduinbrücke zum Verladebahnhof Lützel, wo sie
den Transportzug DA 17 über Izbica ins Vernichtungslager Sobibor besteigen mussten. Nicht ein einziger
überlebte diesen Transport. Dass sich Waller damals allein ohne seine Mutter und seinen Bruder auf den Weg zur
Turnhalle Steinschule machte, fiel Lichtenberg erst als Erwachsener auf. Er kann sich jedoch nicht daran erinnern,
dass irgendwelche Aufsichtspersonen die Leute einzeln aus dem Haus ließen, vielleicht um Aufsehen zu
vermeiden. Aus den Reihen der umstehenden Gaffer schnappte er die Bemerkung auf: „Die Leute kommen weg!“
Eines aber ist Josef Lichtenberg noch recht gut in Erinnerung: Nur kurze Zeit nach Räumung der Wohnung wurde
sie lautstark vom Mob geplündert.